Schwerpunkt Allgemein, Menschlichkeit verbindet, Zusammenwachsen
Mit Leidenschaft für Frühgeborene und erkrankte Neugeborene
Im Jahr 1987 hat Eva Beining ihre Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin im St. Bernward Krankenhaus in Hildesheim begonnen. Seitdem arbeitet sie in der Kinderklinik des katholischen Krankenhauses mit derzeit insgesamt 508 Betten. Seit gut 17 Jahren ist sie als Teamleitung der Intensivstation für Frühgeborene und erkrankte Neugeborene für die allerkleinsten Patienten im St. Bernward Krankenhaus zuständig.
Auf der Station E3 der Kinderklinik versorgt ein Team von rund 65 Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften maximal 20 Säuglinge. Insgesamt stehen für die jüngsten Patienten im St. Bernward Krankenhaus unter anderem zehn technisch bestens ausgestattete Intensivplätze bereit, um ihnen den verfrühten Start ins Leben zu erleichtern. Die Besonderheit: Die Eltern sind von Anfang an mit dabei, werden auf Wunsch auf die Station mit aufgenommen und versorgen ihr Kind oder ihre Kinder gemeinsam mit dem Pflegeteam. Denn zu jedem zu früh geborenen Kind gehört auch ein Paar zu früh gewordene Eltern, bei denen sich die Freude über ihr Neugeborenes mit vielen Unsicherheiten, Fragen und Ängsten mischt. Umso mehr brauchen sie die tägliche Unterstützung des Kinderklinik-Teams.
In diesem Zwiespalt zwischen Freude und Sorgen, zwischen häufig schönen, manchmal aber auch sehr traurigen Momenten setzt sich Eva Beining Tag für Tag für die ihr anvertrauten Kinder und deren Eltern ein. Mit einer Leidenschaft für ihren Beruf, die bis heute anhält – auch nach 31 Jahren als Kinderkrankenschwester.
Judith Seiffert: Natürlich rechnen werdende Eltern immer damit, dass ihr Kind gesund und zum richtigen Zeitpunkt zur Welt kommt und freuen sich auf die Geburt. Umso schlimmer ist es, wenn aus einem eigentlich freudigen Ereignis plötzlich der Ausnahmezustand wird. Häufig ist dies der Moment, in dem Sie die Eltern kennenlernen. Wie gehen Sie mit so einer Situation um?
Eva Beining: Das kommt darauf an. Wir – das heißt ein Facharzt für Neonatologie und eine spezielle Pflegefachkraft – kommen zu jeder Geburt dazu, bei der sich abzeichnet, dass das Kind nicht spontan oder nicht ganz gesund zur Welt kommen wird. Dabei muss es sich nicht unbedingt um Notsituationen oder den „Ausnahmezustand“ handeln.
Generell ist es immer wichtig, mit den Eltern zu sprechen und ihnen die momentane Situation zu erklären. Dabei muss man sie dort abholen, wo sie stehen. Bei manchen Geburten haben wir bereits während der Schwangerschaft gemerkt, dass das Kind nicht ganz gesund zur Welt kommen wird, zum Beispiel, wenn Fehlbildungen bereits im Ultraschall zu erkennen sind.
In anderen Momenten erfahren die Eltern erst nach der Geburt, dass ihr Kind eventuell operiert werden muss oder schwer erkrankt ist. Hier ist der Schock natürlich erst einmal groß. Wichtig ist, den Eltern nichts zu verschweigen, aber im Gespräch auch Positives hervorzuheben und den Eltern Mut zu machen.
Ganz anders ist es wiederum, wenn es sich um einen Notfall handelt, in dem das Kind zum Beispiel Schwierigkeiten mit der Atmung hat. Hier ‚funktioniere‘ ich erst einmal und versuche, dem Kind zu helfen, es zu beatmen oder im schlimmsten Fall auch zu reanimieren. Wir sind ein eingespieltes Team. Jeder von uns weiß, was zu tun ist – und macht es dann einfach. Wenn das Kind dann gut versorgt ist, läuft alles so ab wie nach einer normalen Geburt.
Judith Seiffert: Das bedeutet?
Eva Beining: Dass wir den Eltern so schnell es geht die Möglichkeit geben, ihr Kind kennenzulernen und zu berühren. Die erste Kontaktaufnahme nach der Geburt ist für das Kind und die Eltern das Allerwichtigste, hinter das wir alles andere zurückstellen. Auch hinterher, wenn das Kind bei uns auf Station ist, beziehen wir die Eltern in die komplette Versorgung des Kindes mit ein.
Judith Seiffert: Wie sieht das aus?
Eva Beining: Die Eltern helfen uns dabei, ihr Kind zu wickeln, es über eine Sonde zu füttern und natürlich wird sehr viel mit dem Kind gekuschelt. Das sogenannte „Känguruhen“ – dabei werden die Kinder auf die nackte Brust der Eltern gelegt – ist ungeheuer wichtig für die Entwicklung der Kinder und auch für die Eltern-Kind-Beziehung. Die Kinder hören den Herzschlag ihrer Eltern und spüren die Nähe, das beruhigt sie.
Judith Seiffert: Haben die Eltern keine Berührungsängste, wenn ihr Kind sehr klein ist?
Eva Beining: Am Anfang kommt das durchaus vor, aber wir sind ja dafür da, den Eltern ihre Scheu zu nehmen, und zeigen ihnen behutsam, wie sie mit ihrem Kind richtig umgehen.
Alle Kinder werden bei uns mit der sogenannten Vier-Hand-Pflege versorgt, das heißt, es sind immer zwei Pflegekräfte und dementsprechend vier Hände, die sich um das Kind kümmern. Am Anfang machen wir das, später übernehmen das Mama und Papa. Die Kinder erfahren hierbei viel Geborgenheit und Ruhe.
Judith Seiffert: Gibt es auch Fälle, bei denen sich eine Frühgeburt „vorhersehen“ lässt? Und wie bereiten Sie die Eltern darauf vor?
Eva Beining: Ja, natürlich. Wir haben häufiger Mütter, die mit vorzeitigen Wehen auf unserer Geburtsstation liegen und bei denen wir alles tun, um die Geburt so weit wie möglich hinauszuzögern. Gerade bei Mehrlingsgeburten kommt dies oft vor. Da wir ein Perinatalzentrum der höchsten Versorgungsstufe Level 1 sind – das heißt, wir können besonders kleine Frühgeborene unter 1000 Gramm versorgen – betreuen wir relativ viele Risikoschwangerschaften.
In diesen Fällen bereiten wir die Eltern in Gesprächen so gut es geht auf die frühe Geburt vor. Wenn die Eltern es möchten, können sie gern unsere Frühgeborenenstation besichtigen und unser Team schon vorab kennenlernen. Wenn das nicht geht, weil zum Beispiel die werdende Mutter bettlägerig ist und möglichst nicht aufstehen sollte, kommen wir auch auf die Geburtsstation und zeigen Fotos unserer Frühgeborenenstation. Uns ist es enorm wichtig, den Eltern von Anfang an die Angst zu nehmen und mit ihnen vertraut zu werden. Das ist hinterher ungemein hilfreich – für beide Seiten.
Judith Seiffert: Was ist die schwierigste Situation, die Sie in Ihrem Alltag erleben?
Eva Beining: Ein Not-Kaiserschnitt, zu dem wir gerufen werden, ist immer schwierig. Wir wissen dann nicht, was uns erwartet und wie es dem Kind gehen wird. Ich habe keine Angst vor so einer Situation, ich weiß ja, was ich im Notfall zu tun habe. Aber ich habe unglaublichen Respekt davor.
Und natürlich gibt es ab und zu den traurigen Moment, dass es ein Kind vielleicht nicht schaffen wird und tot zur Welt kommt oder kurz nach der Geburt verstirbt. Diese Situation habe ich, Gott sei Dank, lange nicht mehr im Kreißsaal erlebt. Aber jeder von uns hat sie schon einmal in seinem Berufsleben gehabt.
Judith Seiffert: Wie verarbeitet man so etwas?
Eva Beining: Natürlich fragt man sich: Warum muss so etwas passieren? Es macht einen traurig, ohne Frage. Aber es ist auch wichtig, dieser Trauer Raum zu geben und gemeinsam mit den Eltern und im Team diesen Moment zu durchleben. Das Team spielt hier eine große Rolle – wir fangen uns gegenseitig auf und unterstützen uns. Auch unsere Mitarbeiter der Seelsorge helfen in diesen Momenten, nicht nur den Eltern, sondern auch uns.
Zum Glück begegnen uns diese traurigen Situationen nicht ständig – dafür erleben wir viel aber täglich viel Schönes.
Judith Seiffert: Zum Beispiel?
Eva Beining: Neulich hat uns eine junge Frau besucht, die wir vor 18 Jahren als Frühgeborene versorgt haben und die meine Kollegin und mich kennenlernen wollte. Das hat mich sehr gefreut, zu sehen, was aus diesem kleinen Mädchen geworden ist. Und wir haben sie ein Stück dabei begleiten können – das ist doch toll!
„Der für mich schönste Moment meines Berufsalltags ist aber immer wieder der Augenblick, wenn die Eltern nach einer Geburt zum ersten Mal ihr Kind berühren. Das berührt auch mich. Jedes Mal. Seit 31 Jahren.“
„Ich habe schon als Jugendliche gewusst, dass ich mal Kinderkrankenschwester werden möchte.“
Judith Seiffert: Könnten Sie sich denn vorstellen, einen anderen Beruf auszuüben?
Eva Beining: Nein, absolut nicht. Ich habe meine Berufswahl bis heute nicht bereut, ich arbeite sehr gern hier im St. Bernward Krankenhaus.
Ich habe schon als Jugendliche gewusst, dass ich mal Kinderkrankenschwester werden möchte. Warum, weiß ich auch nicht genau. Meine Schwester hat eine Ausbildung im St. Bernward Krankenhaus gemacht, vielleicht war es das. Ich mochte einfach den Gedanken, dass ich Kinder pflegen und sie dann wieder gesund nach Hause schicken kann.
Ich habe durchaus auch etwas anderes versucht: Um sicher zu sein, dass der Beruf der Kinderkrankenschwester das Richtige ist, habe ich ein Praktikum bei der Bank gemacht. Am dritten Tag habe ich geheult und nach zwei Wochen wusste ich, dass ich das nicht den Rest meines Lebens machen möchte.
Judith Seiffert: Was gefällt Ihnen am St. Bernward Krankenhaus?
Eva Beining: Die familiäre Atmosphäre ist einfach klasse. Natürlich ist auch hier nicht immer alles eitel Sonnenschein – aber unter unseren Mitarbeitern funktioniert das Geben und Nehmen einfach gut.
Judith Seiffert: Was bedeutet für Sie der Satz „Menschlichkeit verbindet“?
Eva Beining: Für mich bedeutet dies: Wie man in den Wald reinruft, so schallt es heraus. Will heißen: Wenn ich zu jemanden freundlich bin, wird auch er mir freundlich begegnen. Das ist es dann, was uns verbindet.
Mit Blick auf unsere Patienten heißt dies für mich: Ich sehe nicht nur die Erkrankungen und Therapien. Ich sehe die Bedürfnisse, die der Patient darüber hinaus hat – und es ist meine Aufgabe, darauf einzugehen. Dies verbindet den Patienten mit mir und mich mit ihm.
„Eine Verbindung zu meinen Mitmenschen herzustellen – nicht nur zu den Patienten, sondern auch zu meinen Kollegen und Mitarbeitern – das ist für mich Menschlichkeit.“
Interview und Fotos: Judith Seiffert (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit St. Bernward Krankenhaus Hildesheim)