Schwerpunkt Allgemein, Medizin im EVV, Menschlichkeit verbindet
Welttag der Patientensicherheit
Dass die Behandlung in einem Krankenhaus ein hohes Maß an Sicherheit bietet, ist für viele Patienten eine selbstverständliche Annahme.
Nicht schaden, vorsichtig sein und heilen
Ausgehend vom hippokratischen Eid, in dem als ein elementares Gebot, den Kranken nicht zu schaden („primum nil nocere“), verankert ist1, wandelt sich das daraus ableitbare Prinzip „Das Wohl des Patienten ist höchstes Gesetz“ („salus aegroti suprema lex“) in der heutigen Zeit weitgehend in ein „Der Wille des Kranken ist oberstes Gebot“ („Voluntas aegroti suprema lex“)2, ohne dabei den seit Hippokrates‘ Zeiten enthaltenen Blick auf die Patientensicherheit zu verlieren.
Nach wie vor gilt der Leitsatz “primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare” („erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen“).
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts fanden in der aufkommenden modernen Pflege erste Ansätze zur Patientensicherheit Niederschlag.
Florence Nightingale formulierte im Zusammenhang mit der Hygieneprävention:
“The very first requirement in a hospital is that it should do the sick no harm”3
(Die allererste Anforderung an ein Krankenhaus ist, dass es den Kranken keinen Schaden zufügt).
Rahmenbedingungen für Patientensicherheit
Trotz der historisch belegten ersten Ansätze zur Patientensicherheit fand diese erst seit kurzem wissenschaftlich fundierten Eingang in den medizinischen Alltag.
Dabei standen Erfahrungen aus der Luftfahrt und anderer hochzuverlässiger Organisationen (high reliability organizations) zur Verfügung und wurden an den medizinischen und pflegerischen Alltag adaptiert.
Basierend auf den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Förderung der Patientensicherheit aus dem Jahr 2004, die maßgeblich auf Untersuchungen zu Defiziten des amerikanischen Gesundheitssystems beruhen, wurden auch in Europa Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der Patientensicherheit geschaffen.4
In der Schweiz wurde bereits 2003 die „Stiftung Patientensicherheit“ gegründet, gefolgt vom Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) in Deutschland (2005) und der Plattform Patientensicherheit in Österreich (2008).5
Durch die Arbeit dieser Organisationen konnten zahlreiche Maßnahmen, die die Anforderungen der WHO beinhalten, umgesetzt werden. So fanden perioperative Checklisten und das Team time out Eingang in die Routineabläufe von Operationssälen und Interventionsbereichen.
Patientenidentifikation
Weit verbreitet sind Patientenidentifikationssysteme zur Vermeidung von Patientenverwechslungen, Fehlermeldesysteme (CIRS), spezifische Kennzeichnungssysteme für Medikamente in der Notfall- und Intensivmedizin und Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen.
In vielen Einrichtungen erfolgt die Umsetzung dieser Maßnahmen isoliert, mit Blick auf den einzelnen Patienten und nicht als systematischer Ansatz im Sinne eines Patientensicherheitsmanagements.
Hier gilt es anzusetzen, um über bereits existierende Maßnahmen und einem präventiven Konzept der Organisationsentwicklung zu einem Höchstmaß an Patientensicherheit zu gelangen.
Die Patienten erwarten neben evidenzbasierter, leitliniengerechter Medizin auch Sicherheitskonzepte, die einen zuverlässigen Schutz vor behandlungsbedingten Fehlern und Schäden geben6.
Alter und Multimorbidität
Zudem wird das individuelle Risiko des einzelnen Patienten durch demographische Entwicklungen und fortgesetzte Innovationen höher.
Die Patientinnen und Patienten werden immer älter und multimorbider.
Die damit einhergehende Polypharmakotherapie mit all ihren Wechselwirkungsrisiken zeigt, wie wichtig die umfassenden Maßnahmen und Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit sind.
Eine sichere Patientenversorgung wird zukünftig nur möglich sein, wenn es gelingt, zuverlässige und wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen unter Einbindung von Patienten und Angehörigen zur Anwendung zu bringen.
Der Gesetzgeber hat sich des Themas Patientensicherheit angenommen und verlangt die Umsetzung von Mindestanforderungen für die Patientensicherheit. Das Sozialgesetzbuch (SGB) V legt in §136a fest, dass der G-BA Inhalte und Maßnahmen im Rahmen des Qualitätsmanagements bestimmt.
Mit der Neufassung der Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL) aus dem Jahr 2015 hat der G-BA die erforderlichen Inhalte und Maßnahmen formuliert und verbindlich gestellt.
Zusätzlich existieren eine Vielzahl gesetzgeberischer Regelungen, die sich der Patienten- und Mitarbeitersicherheit zuwenden, z.B. die Röntgenverordnung, das Medizinproduktgesetz, das Infektionsschutzgesetz, die Hygienerichtlinien, die Datenschutz-Grundverordnung und das Arbeitszeitgesetz7.
Es liegt jetzt bei den Krankenhäusern, die Frage zu beantworten, wie sie sich zu Organisationen entwickeln können, in denen nur noch wenige Fehler auftreten8.
Professioneller Umgang gefordert
Dies kann nur mit Hilfe eines bewussten und systematischen Risikomanagementansatzes gelingen, der Risikomanagement als wesentliches Element der Unternehmensführung definiert, eine offene Sicherheitskultur zulässt und einen professionellen Umgang mit den täglichen Sicherheitsfragen des Krankenhauses gewährleistet9.
Der 17. September ist seit 2019 Welttag der Patientensicherheit und steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Mach Dich stark für Patientensicherheit – Sichere Medikation“.
Wir wollen diesen Tag zum Anlass nehmen, Ihnen Einblicke in die Arbeit der Steuerungsgruppe Patientensicherheit unseres Hauses zu geben und Ihre Wahrnehmung für das Thema zu schärfen, um auch zukünftig mit Ihnen den Wert Patientensicherheit gemeinsam zu teilen.
Dr. Dirk Schaper
Editorial aus der Sonderausgabe der Mitarbeiterzeitung „Hundert Prozent am Puls“ zum Thema Patientensicherheit anlässlich des Welttages der Patientensicherheit 2022.
Fotos: Marco Warmuth
Redaktion: Unternehmenskommunikation und Marketing Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale)
Hier finden Sie die komplette Sonderausgabe_zum Thema Patientensicherheit_als pdf
Literaturquellen des Editorials
1 Maisch, B.: Ethik in der Medizin. Herz 2014, 39:549-550
2 Larsen, R.: Anästhesie und Intensivmedizin für Schwestern und Pfleger. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1999, S. 671
3 A Conversation With Florence Nightingale. https://www.aacn.org/nursing-excellence/nurse-stories/a-conversation-with-florence-nightingale , letzter Abruf: 20.06.2022
4 Gausmann, P, Henninger, M, Koppenberg, J.: Patientensicherheitsmanagement als evolutionärer Schritt in der Entwicklung des Themenfeldes Patientensicherheit. In: Patientensicherheitsmanagement. De Gruyter, Berlin/Boston, 2015
5 ebenda
6 ebenda
7 Wieddekind, P.: Risikomanagement als Wettbewerbsfaktor. In: Umfassendes Risikomanagement im Krankenhaus. MWV, Berlin, 2011 8 Kahla-Witzsch, A., Jorzig, A., Brühwiler,B.: Das sichere Krankenhaus. Kohlhammer, Stuttgart, 2019
9 ebenda