Schwerpunkt Allgemein, Medizin im EVV, Menschlichkeit verbindet
Die Affenpocken
Dieses Infektoskop ist nicht durch das sonst an dieser Stelle ausgelebte Sendungsbewusstsein in Sachen Infektionskrankheiten motiviert. Auch wenn es vordergründig um DAS infektiologische Hot Topic geht: die Affenpocken.
Stigmatisierung
Unser Bild zeigt zwar die typischen Läsionen auf der Handfläche eines an Affenpocken erkrankten Menschen.
Es zeigt aber nicht die Stigmatisierung (ein aus dem Griechischen abgeleitetes Wort, das man hier als Brandmarkung übersetzen könnte), die denjenigen Menschen zuteil wird, die von dieser Infektionserkrankung betroffen sind.
Franzosenseuche
Die „Franzosenseuche“ ist eine Infektionserkrankung, die wir heute unter dem Namen Syphilis kennen.
Sie trat erstmals in Neapel um das Jahr 1495 ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit und verbreitete sich von da an explosionsartig in ganz Europa und den ganzen Globus.
Sie streckte viele junge Menschen dahin und sie veränderte die Geschichte des Planeten.
AIDS
GRID (Gay Related Immune Deficiency oder Schwule Immunschwäche) ist eine Erkrankung, die wir heute unter dem Namen Aids kennen.
Sie trat erstmals im Jahr 1982 ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit und verbreitete sich von da an explosionsartig über den ganzen Globus.
Sie streckte bis heute ca. 38.000.000 Menschen dahin und sie veränderte die Geschichte des Planeten.
Chinesisches Virus
Das »Chinesische Virus« ist der von einem Dummkopf gewählte Schmähname für einen Infektionserreger, den wir als SARS-CoV-2 kennen.
Er trat Ende 2019 ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Das Virus verbreitete sich seitdem explosionsartig über unseren Globus und streckte bis heute 6.000.000 Menschen dahin und veränderte die Geschichte der Menschheit.
Affenpocken
Die Affenpocken sind eine Infektionskrankheit, die in diesem Jahr in unser Bewusstsein getreten ist. In den Schlagzeilen vieler Medien wird die Erkrankung als die neue »Schwule Seuche« tituliert. Sie verbreitet sich derzeit …
Was haben wir gelernt?
Treponema pallidum, dem Erreger der »Franzosenseuche“ ist es ziemlich egal, in welchem Land der Mensch, mit dem man das Bett geteilt hatte, geboren wurde. Global gesehen hatten die wenigsten Menschen mit Syphilis engen Kontakt mit einem in Frankreich geborenen Menschen.
Dem HI-Virus, dem Erreger der zur »Schwulen Immunschwäche« alias Aids führt, ist die sexuelle Orientierung des Menschen mit dem man das Bett geteilt hatte ebenso ziemlich egal. Global gesehen bezeichnen sich die meisten mit HIV infizierten Menschen als heterosexuell.
SARS-CoV-2 ist es in diesem Sinne auch ziemlich egal welcher Ort der erste war, der von dieser Erkrankung betroffen war. Es hätte auch Rio de Janeiro sein können oder Berlin Tempelhof.
Und was haben wir nun daraus gelernt?
Nicht besonders viel. Schon wieder beruhigen wir uns mit dem Gedanken, dass eine neu in unser Bewusstsein getretene Infektionskrankheit – die »schwule Seuche« Affenpocken – exklusiv eine Randgruppe von Menschen betrifft, mit denen die »Normalen«, die nicht-Franzosen, die nicht-Chinesen, die nicht-Schwulen nichts zu tun haben.
Instrumentalisierung von Infektionskrankheiten hat Tradition
Das Instrumentalisieren von Infektionskrankheiten hat eine lange Tradition.
Im Mittelalter Europas bezichtigte man die Juden durch Vergiftung von Brunnen, die Pest zu verbreiten und legitimierte damit deren Verfolgung.
Das Instrumentalisieren von Infektionskrankheiten dient dazu, Religionen, Nationen oder sexuelle Orientierungen zu diskriminieren und zu stigmatisieren, »uns« von den »Anderen« abzugrenzen, und es dient dazu, den »Normalen« ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.
Das Instrumentalisieren von Infektionskrankheiten hat aber niemals in der Geschichte der Menschheit dazu beigetragen, Ausbrüche, Epidemien oder Pandemien zu begrenzen, oder individuelles Leid zu lindern.
Es ist nicht hilfreich, es nutzt niemandem und es ist nur dumm.
Das Orthopoxvirus simiae oder Monkeypox Virus – wie es heute heißt – wird durch engen Körperkontakt von Mensch zu Mensch übertragen. Wenn ich mich nicht irre gehört der enge Körperkontakt zu einer menschlichen Sehnsucht, die uns alle, unabhängig von unserer Religion, Nation oder sexuellen Vorlieben eint.
Beitrag von Dr. Hartmut Stocker
Facharzt für Innere Medizin, ZB Infektiologie
Chefarzt der Klinik für Infektiologie und HIV-Medizin
St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof
Der Englische Schweiß auf GAG
In Episode 355 vom 13.07.2022 beschäftigen sich die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner in ihrem hörenswerten Podcast Geschichten aus der Geschichte mit einer mysteriösen Krankheit des 15. und 16. Jahrhunderts, die den Namen Englischer Schweiß trägt.
Infektoskop – ein Streifzug durch die Infektiologie
Weitere Beiträge von Dr. Stocker finden Sie auf der Website des SJK.