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Über die Liebe und das Herz
Die Computertomographie des Thorax unseres 85-jährigen, schwer kranken Patienten mit einem CRP von 156mg/l zeigt als einzige Auffälligkeit einen Aortenklappenersatz.
Was die Untersuchung nicht zeigt
Was die Untersuchung nicht zeigt, sind die Bakterien, die unsere Mikrobiologie sowohl in 4/4 Blutkulturpärchen als auch im Urin des Patienten gefunden hat: Enterococcus faecalis.
Die Koinzidenz aus Bakterien im Urin und im Blutstrom will uns zur Diagnose »Urosepsis« verführen.
Ein Reflex, dem wir – eingedenk des Bildes – widerstehen sollten.
Hello, „Duke“ …
Die Duke Kriterien, in Entlassungsbriefen – sicherlich aus Versehen – gelegentlich als »Dukes Kriterien« tituliert, gehen weder auf Duke Ellington noch auf den Duke of Wellington zurück sondern entleihen ihren Namen der Duke University, einer dieser renommierten Universitäten der Vereinigten Staaten, die in der Stadt Durham im Bundesstaat North Carolina ihren Campus hat.
In der Medizin kommt keiner an der aus dieser Schmiede stammenden Forschung zur Endokarditis vorbei.
Das Workup nach Duke ist ein Muss, um Patientinnen und Patienten mit der Verdachtsdiagnose einer Endokarditis abzuklappern [1].
Die Duke-Truppe definiert diejenigen Mikroorganismen, die das Herz ganz besonders lieben sehr präzise: Viridans-Streptokokken, Streptococcus gallolyticus, die HACEK-Organismen, Staphylococcus aureus und ambulant erworbene Enterokokken (ohne alternativen Fokus) und noch ein paar andere.
Diese Erreger haben es geschafft, ihr wiederholter Nachweis im Blutstrom ist als Majorkriterium geadelt. Die Beschreibung der Herzen, die von Mikroorganismen besonders geliebt werden, bleibt hingegen vage.
Die Duke Kriterien verbannen die »Predisposing Heart Condition« in die Minorkriterienspalte des Kriterienkatalogs und sie belassen es bei diesem nebulösen Begriff ohne genau zu benennen, was damit gemeint ist.
Literaturtipp Martin Thornhill
Martin Thornhill und seine Kolleginnen und Kollegen füllen mit einer, den Lesenden hier sehr ans Herz gelegten Arbeit, diese Leerstelle [2].
Sie benennt und beziffert die relative Chance (deutsch für »Odds Ratio« (OR)) auf eine infektiöse Endokarditis bei verschieden »Predisposing Heart Conditions«.
Die größte Chance auf eine infektiöse Endokarditis haben Menschen, die bereits zuvor eine infektiöse Endokarditis durchgemacht hatten und zwar mit einer sensationell hohen OR von 265,5 (95%CI 244,2-288,2).
Die relative Chance nach Klappenersatz eine infektiöse Endokarditis zu entwickeln beträgt immerhin noch 70,1 (65,8-74,7) [2].
Im Klartext: Das Herz, das schon einmal infiziert war, ist extrem vulnerabel für eine erneute Infektion. Aber auch das Herz, das mit einer neuen Klappe ausgestattet wurde, ist siebzigmal anfälliger als das normale Herz.
Die Inzidenzrate einer infektiösen Endokarditis nach Ersatz der Aortenklappe liegt unabhängig vom Verfahren bei 1-2%/Jahr [3]. Sie sollten also damit rechnen.
Staphylococcus aureus und koagulase negative Staphylokokken infizieren gerne frisch implantierte Klappen.
Das verwundert nicht weiter, da S. aureus ohnehin alle Strukturen des Körpers attackiert und S. epidermidis und seine Brüder sich bekanntermaßen zu Fremdmaterialien jeglicher Art hingezogen fühlen.
Streptokokken als Hauptverursacher
Jetzt aber wird es interessant: In einer riesigen retrospektiven Studie aus den USA gingen 20,5% der frühen Infektionen bei 29.306 Patientinnen und Patienten nach »kathetergestütztem perkutanen Aortenklappenersatz« (TAVI) auf das Konto von Enterokokken.
Der Winner waren in dieser Studie Stretptokokken mit fast 30%, gefolgt von S. aureus mit 22,4% [4].
In einer anderen, aus Schweden stammenden Analyse mit 4.336 Menschen nach TAVI waren 20,4% der Endokarditisfälle auf Enterokokken zurückzuführen [5].
Eine Auswertung der bis dato vorhandenen Literatur zu diesem Thema kommt zur Schlussfolgerung, dass eine TAVI-Endokarditis besonders häufig – mit bis zu 60% – durch Enterokokken verursacht wird [3].
Ausgerechnet Enterokokken, eine Spezies, die bei Nativklappen eher eine Nebenrolle im niedrig einstelligen Bereich spielt.
Kabel sind anders als Stents?
Mit einem Freund, einem „Aficionado« der Infektiologie, den ich hier Martin nenne – obwohl wir nicht per Du sind – habe ich das Thema dieses Infektoskops diskutiert.
Mit seiner Frage, ob wir eine TAVI nicht einfach als einen x-beliebigen Fremdkörper im Blutstrom betrachten sollten, hat er mich stutzig gemacht und zu folgenden Zuspitzungen inspiriert: »Nicht alle endovaskulären Fremdkörper sind gleich« und »Enterokokken lieben TAVIs«.
Kabel sind anders als Stents und die wiederum sind anders als Klappen.
Die meisten Infektionen nach Aortenklappenersatz treten innerhalb des ersten Jahres nach der Prozedur auf [3]. Das spricht nicht notwendigerweise dafür, dass während der Implantation geschlampt wurde. Nein, denn es dauert ungefähr ein Jahr bis die Klappe eingeheilt und der Rand vollständig endothelialisiert ist.
Warum Enterokokken?
Eine Klappe ist wie eine Dornenkrone im Fleisch des Herzens. Ihre Stacheln bohren sich durch die Gleitschicht des Gefäßsystems, sie verursachen Verletzungen, die die Gerinnungskaskade aktivieren.
Am Rande jeder Klappe, dort wo die Strömung turbulent ist, können sich am traumatisierten Endothel sterile Vegetationen aus Fibrin und Blutplättchen bilden, welche wiederum ein gefundenes Fressen für temporär im Blutstrom treibende Bakterien sind. Warum also ausgerechnet Enterokokken, Bakterien, denen man eigentlich nicht so viel zutraut?
Die Population, für die eine TAVI in Frage kommt, ist definiert durch ihr hohes Alter und viele Komorbiditäten, und jetzt spekulieren wir mal drauf los: Das Risiko für eine Enterokokkenbakteriämie ist assoziiert mit dem Vorhandensein von kolorektalen Adenomen und Karzinomen [6], deren Prävalenz wiederum in dieser Patientgruppe recht hoch sein sollte.
Der Fortschritt der Medizin bietet mitunter einigen Mikroorganismen, die noch während unseres Studiums eine Nebenrolle gespielt haben, eine Bühne für einen überraschend großen Auftritt.
Die Enterokokke kommt wegen der immer zahlreicher unter uns lebenden Menschen mit Klappenersatz gerade groß raus und entwickelt sich zur Primadonna. So sollten wir stets auf Neues gefasst sein und bei jeder Bakteriämie mit E. faecalis an eine TAVI und bei jeder TAVI mit Zeichen und Symptomen einer Infektion an E. faecalis denken.
Dem naheliegenden Gedanken der Urosepsis widerstehen ist das Gebot der Stunde.
Flexibel bleiben und dazu lernen: Das gilt nicht nur für Mikroorganismen, sondern auch für uns Ärztinnen und Ärzte.
Beitrag von Dr. Hartmut Stocker
Facharzt für Innere Medizin, ZB Infektiologie
Chefarzt der Klinik für Infektiologie und HIV-Medizin
St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof
Infektoskop – ein Streifzug durch die Infektiologie
Weitere Beiträge von Dr. Stocker finden Sie auf der Website des SJK.