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Wenn Manager durchbrennen
Psychische Erkrankungen wie Burn-Out oder Depressionen sind längst kein Einzelfall mehr.
Privatdozent Dr. med. Arian Mobascher, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein, im Gespräch mit der Rhein-Zeitung.
Herr Dr. Mobascher, schon früh sind Befürchtungen laut geworden, dass das Coronavirus zu einer Zunahme psychischer Krankheiten führen wird. Haben Sie einen solchen Anstieg feststellen können?
Die Datenlage hierzu entsteht ja erst. Zahlenmäßig kann ich das in unserer Klinik nicht fassen.
Stationäre Behandlungsangebote im Bereich der psychischen Gesundheit sind immer sehr nachgefragt, auch ohne Corona. Das heißt, wir haben derzeit nicht mehr Fälle als sonst und auch nicht weniger. Aber in den Gesprächen mit unseren Patienten wird deutlich, dass für viele die Corona-Krise einen zusätzlichen Belastungsfaktor darstellt, der an der Entstehung, Aufrechterhaltung und gegebenenfalls Verschlechterung einer psychischen Erkrankung beteiligt ist.
Hierbei gibt es natürlich ganz unterschiedliche Aspekte von der existenziellen wirtschaftlichen Bedrohung bis zur Schließung des Fitnessstudios.
Psychische Erkrankungen sind stigmatisiert
Warum kommunizieren einige Topmanager und Geschäftsführer in der Öffentlichkeit lieber, an einer physischen Krankheit wie Krebs erkrankt zu sein, als offenzulegen, dass sie eine psychische Krankheit haben?
Natürlich spielt die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen eine wichtige Rolle – auch wenn sich hier vieles verbessert hat.
Man gilt nicht gern als „verrückt“ und auch nicht als „schwach“. Vielen Menschen bereitet es aber Unbehagen, überhaupt über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen, auch unabhängig von Gesundheit und Krankheit. Aus meiner Sicht spielen Gender-Aspekte hierbei immer noch eine Rolle.
Wer nicht sagen kann „Ich bin traurig“ oder „verzweifelt“ oder „Ich habe Angst“, der wird auch nicht offen mit seiner psychischen Erkrankung umgehen können. Wie viel man von sich preisgeben will, ist eine sehr individuelle Entscheidung, bei der man nicht sagen kann „Mehr ist besser“. Es ist aber eine Kompetenz, diese „Antennen“ nach innen zu entwickeln und an geeigneter Stelle zu kommunizieren.
Das St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein sichert als größtes Krankenhaus im Rhein-Lahn-Kreis die medizinische Grund- und Regelversorgung.
Positiver Aspekt „Allgemeinkrankenhaus“
Das St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein wird von Managern weiterempfohlen. Sind Sie „besonders diskret“ im Umgang mit psychischen Krankheiten?
Diskretion und ärztliche Schweigepflicht dürften eine Selbstverständlichkeit sein. Ich glaube nicht, dass wir hier ein „Alleinstellungsmerkmal“ haben.
Als Akutklinik sind wir aber schnell in der Lage, eine Behandlung anbieten zu können. Und zwar vollstationär, tagesklinisch und ambulant, je nachdem, was im individuellen Fall am sinnvollsten ist. Darüber hinaus ist die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Teil eines „normalen“ Allgemeinkrankenhauses mit einer sehr guten organmedizinischen Mitbetreuung – falls diese erforderlich sein sollte.
Der Aspekt des Allgemeinkrankenhauses kann der empfundenen oder tatsächlichen Stigmatisierung, die mit einer psychischen Erkrankung verbunden ist, zudem entgegenwirken.
Ambulante Psychotherapie erfährt Zulauf
Was muss gesellschaftlich passieren, damit es Krankheiten wie Depressionen oder auch Burn-out „raus aus der Nische“ schaffen?
Hier ist in den letzten Jahrzehnten viel erreicht worden. Das sieht man allein schon an der deutlich gestiegenen Inanspruchnahme von Behandlungsangeboten und dem großen Zulauf, den zum Beispiel die ambulante Psychotherapie erfährt.
Was ich derzeit jedoch kritisch sehe, ist eine aus meiner Sicht künstliche Spaltung zwischen leichteren, gesellschaftlich akzeptierten psychischen Erkrankungen und den „schweren Fällen“, die weiterhin stigmatisiert werden. Aber das ist ein komplexes Thema.
Behandlungsschritte mit Patienten planen
Wie sieht die übliche Behandlung eines an Depressionen erkrankten Patienten aus?
Grundsätzlich wird im Rahmen einer Diagnostikphase ein individuelles Störungsmodell mit prädisponierenden (also vorbestehenden und begünstigenden), auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren erarbeitet. Daraus werden Therapieziele und ein Behandlungsplan abgeleitet. Dieser enthält psychotherapeutische Behandlungselemente im
Einzel- und Gruppenformat, eine Reihe von flankierenden Therapien wie zum Beispiel das Erlernen von Entspannungsverfahren und, wenn es sinnvoll ist, auch medikamentöse Behandlungsansätze.
Bei stationärem Aufenthalt planen wir zusammen mit den Patienten auch die nächsten Behandlungsschritte, also zum Beispiel eine tagesklinische oder ambulante Behandlung.
Unterschied zwischen Burn-out und Depression
Und wie werden an Burn-out erkrankte Patienten bei Ihnen üblicherweise behandelt?
Als Akutklinik brauchen wir zur Rechtfertigung einer stationären oder auch tagesklinischen Behandlung eine geeignete Diagnose, die auch eine gewisse Krankheitsschwere impliziert. In dieser Hinsicht ist Burn-out bei uns keine Aufnahmediagnose im engeren Sinne.
Das zuvor geschilderte Vorgehen bei der Planung und Gestaltung einer Behandlung unterscheidet sich nicht grundsätzlich zwischen Depression und Burn-out. Bei einer Burnout-Konstellation kann es aber oft noch wichtiger sein, ausgehend von hohen beziehungsweise überhöhten Erwartungen an sich selbst, realistische Therapieziele zu entwickeln. Ich übertreibe bewusst an einem einfachen Beispiel: Ein Leistungsträger kommt mit einer Depression/Burn-out und sagt: „Ich konnte in den letzten zehn Jahren 70 bis 80 Stunden in der Woche arbeiten. Jetzt sind es nur noch 50 Stunden. Das reicht aber nicht. Machen Sie, dass ich wieder 80 Stunden arbeiten kann.“
Das ist als Therapieziel zu kurz gegriffen. Hier geht es dann oft darum, zu einem kompetenteren Selbstmanagement unter Berücksichtigung der eigenen Leistungsgrenzen zu kommen.
Work-Life-Balance im Blick
Wie stehen bei richtiger Behandlung die Heilungschancen bei Depressionen und Burn-out?
Depressionen und Burn-out sind grundsätzlich gut behandelbar, auch im Sinne einer Heilung. Die einzelnen Krankheitsverläufe sind natürlich sehr variabel.
Einer von vielen Faktoren ist wie zuvor angesprochen die Frage, ob es gelingt, etwas zu verändern, zum Beispiel die sogenannte Work-Life-Balance in den Blick zu nehmen und gegebenenfalls zu adjustieren.
Selbsttests in Kombination mit Fachleuten
Was halten Sie von den inzwischen weit verbreiteten Onlineselbsttests, die angeblich psychische Krankheiten diagnostizieren sollen?
Selbstbeurteilungsinstrumente spielen in der Diagnostik und übrigens auch in der Verlaufsbeurteilung einer psychischen Erkrankung durchaus eine wichtige Rolle. Fragebogenmaterial setzen wir schon seit Jahrzehnten ein. Daher sind Onlineselbsttests durchaus eine sinnvolle Ergänzung.
Selbstbeurteilungsinstrumente liefern aber keine verlässlichen Diagnosen und sind oft falsch positiv. Das heißt, es ist schon wichtig, die Ergebnisse mit einer fachkompetenten Person zu besprechen, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden. Apps, die Betroffene nach erfolgter Diagnostik und Therapieplanung beim Selbstmonitoring und Selbstmanagement unterstützen, finde ich auch hilfreich.
Moderne Kommunikationsmittel nutzen
Was raten Sie Personen, die aufgrund der Corona-Beschränkungen gerade eine schwere Zeit durchleben, sich einsam fühlen oder in ihrer Existenz bedroht sehen?
Leider schränkt uns die Corona-Pandemie in dem, was uns normalerweise dabei hilft, die psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten beziehungsweise wiederherzustellen,
stark ein: Angenehme Aktivitäten wie Kulturveranstaltungen und Sport sowie auch soziale Kontakte sind massiv eingeschränkt. Letztlich bleibt derzeit nur die Möglichkeit, das zu tun, was noch geht. Hierbei sind die modernen Kommunikationsmöglichkeiten durchaus hilfreich.
Zur Person
Privatdozent Dr. med. Arian Mobascherv (geb. 1972) studierte von 1991 bis 1997 Humanmedizin in Essen und Freiburg und machte anschließend eine Facharztausbildung für Psychiatrie und Psychotherapie im Uniklinikum und LVR-Klinikum Düsseldorf.
2011 wechselte er als Oberarzt an die Uniklinik Mainz. Seit 2014 ist Mobascher Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein und seit zwei Jahren zusätzlich Ärztlicher Direktor.
Interview mit freundlicher Genehmigung der Rhein-Zeitung (Quelle: „WIRTSCHAFT – die regionale Wirtschaftszeitung der Rhein-Zeitung„, Ausgabe Nr. 5, Januar/Februar 2021, Autorin: Marie Wagner).
Fotos: St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein