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SELIG
Warum, Wozu? Versuch einer Antwort
Der 11. Juni 2022 wird in der Geschichte unserer Kongregation als ein besonderer Tag in Erinnerung bleiben. Es ist der Tag der Seligsprechung von zehn Schwestern aus der Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth.
In einem feierlichen kirchlichen Akt im Dom zu Breslau (Wrocław) wurden Sr. Maria Paschalis Jahn und neun weitere Schwestern als Märtyrerinnen »zur Ehre der Altäre erhoben«.
Nach langer und intensiver Prüfung ihres Lebens und der Umstände ihres gewaltsamen Todes am Ende des 2. Weltkrieges hat Papst Franziskus am 19. Juni 2021 per Dekret bestätigt, dass diese zehn Schwestern als Zeuginnen des Glaubens das Martyrium erlitten haben und nun als Selige verehrt werden dürfen.
Das ist für alle Schwestern unserer Kongregation eine große Freude und ein bleibender Grund zur Dankbarkeit. Dieser Tag ist der Schlusspunkt einer langen Entwicklung und das Ergebnis der Bemühungen vieler Menschen. Er soll und kann aber vor allem ein Anfang sein, der Anfang einer lebendigen Verehrung dieser zehn Ordensfrauen.
Heiligenverehrung, die Seligen sind stets mitgemeint, bedeutet, ihr Zeugnis für die Wahrheit des Glaubens wahrzunehmen und es für das eigene Leben fruchtbar zu machen. Mit der Seligsprechung hat uns die Kirche Sr. M. Paschalis und ihre neun Gefährtinnen als Beispiel für ein gelungenes christliches Leben vor Augen gestellt.
Leben, auch das Leben als Christ, gibt es aber nur im Rahmen der jeweiligen Umstände, mit seinen konkreten Möglichkeiten und Begrenzungen, mit seinen Gefahren und Chancen. Die Zeugniskraft unserer Märtyrerschwestern bliebe vage und ihre Verehrung könnte nur oberflächlich sein, wenn wir sie losgelöst von ihrer geschichtlichen Situation betrachten würden.
Auf einige Fragen nach dem historischen Zusammenhang des Martyriums dieser neuen Seligen und der Bedeutung ihres Zeugnisses für die Kirche und die Welt von heute will der folgende Text Antwort geben. Denn auch wir sind durch die Taufe dazu berufen, an unserem Platz Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die durch den Glauben an Jesus Christus in uns lebt (vgl. 1 Petr. 3, 15).
Der Prozess der Seligsprechung
Ein Seligsprechungsprozess ist ein kirchenrechtlicher Akt, mit dem die Rechtmäßigkeit der Verehrung von Verstorbenen festgestellt wird.
Er kann eröffnet werden, wenn eine mehr oder weniger große Anzahl von Gläubigen davon überzeugt ist, dass der oder die Verstorbene »im Ruf der Heiligkeit steht«. In einem ersten Schritt werden die Biografie, die Umstände des Todes und die schriftliche Hinterlassenschaft gründlich geprüft.
Parallel dazu laufen die Untersuchungen der Gebetserhörungen, die der Fürsprache der verehrten Person zugeschrieben werden. Wenn diese Prüfungen nichts Gegenteiliges ans Licht bringen, erfolgt die »Feststellung ihres heroischen Tugendgrades« und sie darf »Diener / Dienerin Gottes« genannt werden.
Damit soll nicht behauptet werden, sie sei ein perfekter oder sündenloser Mensch gewesen. Die Unterlagen (Positio) werden dann von mehreren Theologen geprüft und – wenn keiner Bedenken hat – an eine Gruppe von Kardinälen gegeben. Diese leiten sie, wenn auch sie von der Richtigkeit überzeugt sind, an den Papst weiter.
Das Dekret des Papstes bildet den Abschluss des Seligsprechungsverfahrens und man kann Ort und Termin für die feierliche öffentliche Verkündigung des Dekretes festlegen.
Die Seligsprechung ist die Vorstufe zur Heiligsprechung, wobei natürlich nicht alle Seligen später auch heiliggesprochen werden. Es hat mit dem Verbreitungsgrad der Verehrung zu tun. Die Verehrung der Seligen ist eher regional, die der Heiligen weltweit.
Seligsprechung und Wunder
Nachweisbare Gebetserhörungen, »Wunder«, sind für die Seligsprechung von Märtyrern nicht nötig, weil die Kirche fest überzeugt ist, dass ein Mensch, der öffentlich vor Zeugen seine Treue zu Christus mit dem Leben bezahlt hat, nach seinem Tod »einen Platz im Himmel« hat.
Sie verzichtet daher bei ihm auf eine Bestätigung seiner Nähe zu Gott durch ein Wunder, das Gott auf seine Fürsprache gewirkt hat.
Sr. M. Paschalis Jahn – die Erstgenannte
Dass Sr. M. Paschalis als einzige dieser Gruppe mit Namen genannt wird, hängt damit zusammen, dass ihre Verehrung seit ihrem Tod 1945 besonders gepflegt wurde. Ihr Grab in Zöptau (Sobotin /Tschechien) ist bekannt und wurde trotz des fast vollständigen Wechsels der Bevölkerung in der Stadt immer gepflegt und ihr Andenken als Heilige in Ehren gehalten. Daran hatte auch ihre Familie einen großen Anteil, die schon vor dem Krieg nach Westfalen umgezogen war.
Gräber der anderen Schwestern
Die Schwestern M. Sapientia, M. Adelheidis und M. Melusia haben ihr Grab im Garten des Schwesternaltenheimes in Neisse (Nysa, ul. Słowiańska). Sr. M. Adelheidis wurde in Neisse auf dem Jerusalemer Friedhof beerdigt.
Von vier Schwestern weiß man zwar, auf welchem Friedhof sie begraben wurden, die Gräber existieren aber nicht mehr und wir kennen auch nicht die genaue Grabstelle. Zur Erinnerung an Sr. M. Adela, die gemeinsam mit anderen Opfern der Gewalt in einem Bombentrichter begraben wurde, steht in Günthersdorf (Godzieszów) eine Gedenktafel.
Warum erst jetzt und warum überhaupt?
Das lag vor allem an den politischen Verhältnissen nach dem 2. Weltkrieg. Die neuen Grenzen zwischen Polen und Deutschland, die Ausweisung der Deutschen aus Schlesien, die Teilung Deutschlands, der Eiserne Vorhang, die fehlende Reisefreiheit zwischen West und Ost, die Verlegung des Generalates nach Reinbek und später nach Rom, all das behinderte und verhinderte eine systematische Suche nach Quellen und Zeugen.
Diese aber sind Voraussetzung für einen Seligsprechungsprozess. Die Wertschätzung dieser Frauen und die Bewunderung für sie hat es aber immer gegeben, in unserer Kongregation und bei vielen Menschen, die von ihnen wussten. Deshalb hat die Generalleitung unserer Kongregation schon bald nach dem Ende des Krieges damit begonnen, schriftliche Berichte von Augenzeugen zu sammeln.
Die Erinnerung an diese großartigen Frauen sollte nicht verlorengehen.
Gründe für die Wahl der zehn Schwestern
Die zehn Schwestern waren nicht die Einzigen. Allein in unserer Kongregation waren es mehr als 100 Schwestern, die am Ende des Krieges gewaltsam umgekommen sind oder verschleppt wurden. Die Zahl der Frauen und Mädchen, denen damals Gewalt angetan wurde, geht in die Tausende.
Es ist durchaus möglich, dass andere viel mehr gelitten haben – jedoch sind nicht das Maß des Leidens oder der gewaltsame Tod an sich Gründe für die Anerkennung als Märtyrer.
Der Seligsprechungsprozess wurde gerade für diese zehn Frauen eingeleitet, weil man von ihren recht gut weiß, wie sie gestorben sind. Wie meint dabei nicht die Ursache des Todes, wie beispielsweise Erschießung. Das wie meint ihre innere Haltung und ihr Verhalten im Angesicht des Todes. Dafür gab es bei diesen zehn Schwestern Augenzeugen, die ihre letzten Worte gehört haben und die sahen, dass sie ohne Hass gegen ihre Peiniger, ohne Verzweiflung den Tod ertragen haben.
Das ist das eigentliche Kriterium für die Anerkennung als Selige.
Die Kirche bestätigt ihr Märtyrertum
Durch den Seligsprechungsprozess wird offiziell bestätigt, dass diese Frauen als Märtyrerinnen gestorben sind und nun als solche verehrt und um Fürsprache bei Gott angerufen werden dürfen.
Das griechische Wort martyria bedeutet Zeugenaussage, Zeugnis, Beweis. Es stammt aus der Rechtssprache. Etwa seit dem 3. Jahrhundert wurde dieser Begriff als Bezeichnung für die Menschen gewählt, die in einem öffentlichen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt wurden, weil sie sich als Christen bekannten. Mit ihrem Tod haben sie bewiesen, dass sie ihrem Glauben bis zum letzten Atemzug treu geblieben sind.
Diese Definition hat sich im Wesentlichen bis heute erhalten, ist aber auch durch andere Aspekte des schuldlosen Leidens erweitert worden. Deshalb spricht man zuweilen auch von einem Martyrium durch eine schmerzhafte Krankheit oder in einer Ehe. Märtyrer im ursprünglichen Sinn aber ist der Blutzeuge.
Für Glaube und Werte sterben
Sicher gab und gibt es zu allen Zeiten und in allen Religionen Menschen, die so fest von der Richtigkeit ihres Glaubens überzeugt sind, dass sie bereit sind, dafür zu sterben. Das verdient in jedem Fall Respekt. Der Selbstmordattentäter, der dabei andere Menschen mit in den Tod reißt, macht sich aber an ihnen schuldig.
Wenn man im Christentum von Martyrium spricht, ist es wichtig, immer im Hinterkopf zu haben, dass die Märtyrer ihr Leben nicht geopfert haben, weil sie von der Wahrheit einer Sache, einer Idee, einer Lehre überzeugt waren, sondern von der Wahrheit einer Person.
Um des Namens (Jesu) willen sind die Märtyrer im Römischen Reich vor fast 2000 in den Tod gegangen. Das gilt bis heute und das gilt auch für die zehn Frauen, die wir nun als unsere Märtyrerschwestern verehren dürfen. Sie haben, so kann man sagen, nicht die christlichen Glaubensinhalte verteidigt, sondern Jesus Christus, von dem sie sich berufen wussten und dem sie in der Profess ihre ganze Liebe und Hingabe versprochen hatten. Dieses Versprechen schloss für sie prinzipiell die Bereitschaft ein, auch als Märtyrerin zu sterben. Sr. M. Adelheids Töpfer hatte das auch so schon zu Lebzeiten mehrfach geäußert.
Jede Zustimmung, die Einwilligung zu dem sexuellen Begehren der Soldaten, um das eigene Leben zu schonen, ja auch eine widerwillige Akzeptanz ihrer Forderungen, wäre ihnen wie ein Verrat an ihrem Bräutigam Jesus Christus erschienen. Deshalb blieben sie trotz Drohung bis zum letzten Moment bei ihrem konsequenten Nein, so wie es von Sr. M. Paschalis bezeugt ist.
Auf die Aufforderung des Soldaten, mit ihm zu kommen, antworte sie:
»Ich trage ein heiliges Kleid und gehe niemals mit dir.«
Und als er dann drohte, sie zu erschießen, war ihre Antwort:
»Erschießen Sie mich, Christus ist mein Bräutigam, nur ihm gehöre ich.«
Auch die letzten Worte von Sr. M. Felicitas Ellmerer: »Es lebe Christus, der König.«, sowie das Gebet von Sr. M. Sabina Thienel: »Heilige Muttergottes, lass mich als Jungfrau sterben, schütze meine Jungfräulichkeit.«, sind ein klarer Hinweis, dass diese Frauen ihren Tod als Akt der Hingabe an Jesus Christus verstanden haben.
Auch für die anderen Schwestern ist das keine nachträgliche Interpretation. Sie alle »…hatten etwas von der unverbrauchten Schönheit des ganzheitlich allein auf Gott bezogenen Lebens gespürt, die sie um keinen Preis verlieren wollten.« (H. Moll).
Andere Frauen entschieden anders
Berufung und Treue zur Berufung sind immer Ausdruck einer individuellen und damit zutiefst persönlichen Beziehung.
Von außen gesehen kann diese Treue deshalb unterschiedliche Formen haben. Viele Mütter haben sich damals mit gutem Gewissen einer Vergewaltigung nicht widersetzt, weil ihr Tod ihre Kinder schutzlos gemacht hätte. Manche Frau
hat sich den Soldaten als Ersatz für ein junges, noch kindliches Mädchen angeboten. Damit haben diese Frauen für ihre Berufung als Mutter oder Frau ein authentisches Zeugnis abgelegt und man könnte auch sie als Märtyrerinnen bezeichnen. Sie sind zwar nicht gestorben, mussten aber mit dem Trauma der Vergewaltigung leben.
Treue zu Christus bedeutet nicht, dass man die Gefahr suchen soll. Die Kirche hat es immer kritisiert, wenn sich Menschen ohne Not in Gefahr brachten.
Flucht vor der Gefahr ist keine Feigheit. Auch die Oberinnen unserer Kongregation hatten die Schwestern aufgefordert, sich beim Anrücken der Roten Armee in Sicherheit zu bringen. Viele Schwestern haben das auch getan. Dass Sr. M. Adela, Sr. M. Adelheidis, Sr. M. Melusia und Sr. M. Acutina diese Chance nicht wahrgenommen haben, war kein Leichtsinn und keine Naivität, sondern Ausdruck ihrer Zuwendung und Fürsorge für die Menschen, für die sie verantwortlich waren. Sie wollten die alten Leute oder die jungen Mädchen in der gefährlichen Situation nicht allein lassen. Ihr Bleiben war ein Akt der Solidarität mit den Schwachen.
Sie sind gestorben, weil sie ihren Nächsten mehr geliebt haben als sich selbst. Damit sind sie Christus bis in den Tod ähnlich geworden und deshalb hat die Kirche sie seliggesprochen.
Ihr Tod war ein letztes endgültiges Amen zu ihrem Versprechen der vollständigen Hingabe und Treue zu Gott im Dienst an den Menschen.
Schwesterntaten und Nächstenliebe
In dem Gebet, das in unserer Kongregation zur Vorbereitung auf die Seligsprechung gebetet wurde, heißt es, dass diese Schwestern mit ihrer Entschiedenheit die Würde der Frau verteidigt haben. Diese Würde zu verletzen ist eine Beleidigung Gottes. Das gilt in besonderer Weise im Blick auf Ordensfrauen. Denn so wie jede Schändung einer Frau auch ihren Mann entehrt, ist die Vergewaltigung einer dem Herrn geweihten Frau immer eine Beleidigung ihres göttlichen Bräutigams.
Mit der Sorge um die Würde des Menschen und ihrer Verteidigung gegen alle Angriffe und Verletzungen wird Gott geehrt. Das gilt nicht nur für den Fall des Martyriums wie bei den neuen Seligen, sondern immer und überall dort, wo Menschen sich für die Würde und die Rechte der Frau einsetzen und stark machen. Wer den Menschen ehrt, ehrt Gott,
denn »Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.« (Hl. Joh. Paul II.)
Unsere Märtyrerschwestern haben im Moment ihres Todes vermutlich nicht daran gedacht, dass sie nicht nur ihre eigene Würde verteidigen, sondern Stellvertreterinnen geworden sind für alle Frauen, ja für alle Menschen, die geschändet, gedemütigt und missbraucht werden.
Zu dieser Würde des Menschen gehören seine leib-seelische Integrität und seine Freiheit. Zwang, Gewalt, Drohung in jeder Form verletzen diesen Wert, schlagen Wunden und sind daher von Grund auf böse.
Wer nun, wie unsere Schwestern, bereit ist, als Märtyrerin der Reinheit zu sterben, der bezeugt damit, dass ihm dieses von Gott verliehene Geschenk der körperlichen Unberührtheit, das zu bewahren sie sich durch das Gelübde der Keuschheit verpflichtet hatten, mehr wert ist als das Leben. Zu diesem Zeugnis ist nicht jeder berufen, aber angesichts
der Tatsache, dass zu allen Zeiten die Würde der Frau oft mit Füßen getreten wird, sind solche Zeuginnen wichtig.
Die Bedeutung dieses Zeugnisses auch für unsere Zeit war einer der Gründe, warum unsere Kongregation die Seligsprechung dieser zehn Frauen angestrebt hat. Vielfach wird heute gar nicht mehr gesehen, dass Keuschheit, Jungfräulichkeit wirkliche Werte sind, deren Nichtachtung dem Menschen und der Gesellschaft schaden.
Jungfräulichkeit im Christentum ist Freiheitserfahrung: niemandem unterworfen sein, auch nicht den eigenen Trieben, unabhängig sein von sexuellen Zwängen und der Ausnutzung als Ware oder Spielzeug. Darauf kann das konsequente
Nein der Schwestern hinweisen.
Palmzweig in der Hand der Sr. M. Paschalis
Auf Darstellungen von Heiligen in der bildenden Kunst ist der Palmzweig in der Regel das Erkennungszeichen für einen Märtyrer. In der Antike überreichten Herrscher ihren Soldaten nach einer gewonnenen Schlacht Palmzweige. Im Judentum galten sie als Sinnbild der Königsherrschaft. Deshalb wird in der Bibel (Joh. 12, 13) ja auch erzählt, dass
die Bewohner von Jerusalem Jesus mit Palmzweigen in der Stadt empfangen haben.
Auf diesem Hintergrund sahen die Christen in der Palme später ein Symbol für den Triumph über Sünde und Tod. So markiert der Palmsonntag nicht von ungefähr den Auftakt der sogenannten Heiligen Woche, in der die Christen das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi feiern. Denn neben der Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem feiert die Kirche damit ihre Gewissheit, dass auf den Karfreitag der Ostermorgen folgt und so das Leben über den Tod siegt.
Der Palmzweig ist das Symbol für die Hoffnung, dass Leiden und Tod nicht das letzte Wort haben. Denn vom christlichen Standpunkt aus ist das Martyrium kein Scheitern, sondern ein Sieg, der ins Leben bei Gott führt.
Sieg der Märtyrer
Die Hingabe des eigenen Lebens als Sieg zu bezeichnen, ist nur innerhalb des christlichen Glaubens möglich. Als Christen glauben wir, dass der Tod Jesu zugleich seine Verherrlichung war.
Die vier Evangelisten stellen es, jeder auf seine Weise, so dar und die Kirche hat das von Anfang an geglaubt und gelehrt. In seinem Brief an die Philipper (Phil. 2, 7f ) schreibt Paulus: »Er (Jesus) erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn über alle erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.«
Mit Erhöhung ist die Auferstehung gemeint. Jesu Tod am Kreuz war gewissermaßen die Voraussetzung für seine Auferstehung. Er hat seinen Tod freiwillig aus Liebe zu uns Menschen auf sich genommen. Solche Liebe stirbt nicht, sie hält dem Tod stand. Und weil das, wie wir glauben, nicht nur für Jesus gilt, sondern für jeden Menschen, der mit ihm verbunden ist, kann man auch unsere Märtyrerschwestern als Siegerinnen bezeichnen.
Auch sie haben bis zum letzten Atemzug an der Liebe zu Gott und den Menschen festgehalten.
Für das Christentum ist Opfer und Sieger nicht unbedingt ein Widerspruch. Die Berichte vom Sterben der zehn Schwestern weisen deutlich darauf hin, dass sich jede von ihnen mit Jesus am Kreuz verbunden wusste und daher auch die Hoffnung hatte, mit ihm Anteil zu erhalten an seinem Sieg über den Tod.
Es ist ein Zeichen innerer Freiheit und Kraft, sich nicht von der Angst vor dem Tod besiegen zu lassen und »dem Bösen bis aufs Blut Widerstand zu leisten« (vgl. Hebr. 12, 4). Das wurde zu allen Zeiten vielfach auch von Nichtglaubenden wahrgenommen. Nicht wenige sind dadurch zum Glauben gekommen.
Denn »das Blut der Märtyrer ist der Samen für neue Christen«! Durch ihre Lebenshingabe in der Situation äußerster Bedrohung zeigen die Märtyrer, dass Gott allein ihr Genüge ist und die Treue zu ihm und seinem Willen den ganzen Einsatz wert ist. »Erschießen Sie mich. Christus ist mein Bräutigam, nur ihm gehöre ich.«, sagte Sr. M. Paschalis angesichts des drohenden Todes.
Das Martyrium der Elisabeth-Schwestern
Dass die Deutschen den Völkern der Sowjetunion allen Grund zur Rache gegeben hatten, steht ohne Frage fest.
Das Ziel der Nazis, mit dem sie den Krieg gegen Polen und die Sowjetunion begonnen hatten, war die Herrschaft über die ganze Welt durch Unterdrückung und Vernichtung der Völker, inklusive der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung.
Millionen unschuldiger Menschen mussten auf dem Weg zu diesem anmaßenden Ziel ihr Leben lassen. Dass die Rache der Sieger, von denen sicher jeder in seiner Familie blutige Opfer zu beklagen hatte, dann auch die traf, die an dem Geschehen keine persönliche Schuld hatten, kann nicht verwundern.
Ausdruck von Rache ist neben der Bestrafung der Feinde, auch die Zerstörung dessen, was ihnen heilig ist. Das waren aus Sicht der Kommunisten und Atheisten in der Roten Armee vor allem die Religion und die Kirche und damit auch deren Gebäude und sichtbare Vertreter, das heißt, Priester und Ordensleute.
Es scheint, als ob die Truppenverbände, die im Frühjahr 1945 Neisse besetzten, bei der Ausübung ihrer Rache besonders stark von atheistischen, glaubensfeindlichen Motiven getrieben waren. Denn nicht an allen Frontabschnitten gab es so viel brutale Gewalt, wie in dieser Region.
Die Feststellung, dass unsere Schwestern damals aus Glaubenshass getötet wurden, kann daher durchaus angenommen werden, auch wenn der einzelne gewalttätige Rotarmist vielleicht noch andere Motive hatte.
Entscheidend für die Anerkennung als Märtyrer ist nicht das Motiv derer, die töten, sondern das Motiv des Opfers. Der Mensch, der nachweislich sein Lebensopfer mit dem Opfer Christi verbunden hat, das heißt, den Tod aus Liebe zu Gott oder den Menschen auf sich nahm, kann und darf als Märtyrer verehrt werden.
Weitergabe des Zeugnisses
Der Hauptgrund für die Entscheidung der Generalleitung, sich um die Seligsprechung zu bemühen, war und ist es, auf diese Weise unsere Freude und Dankbarkeit für diese tapferen Frauen aus unseren Reihen mit allen katholischen Christen, vor allem in Polen und Deutschland, zu teilen und zu fördern.
Das Zeugnis der Heiligen ist, so glauben wir, ein Geschenk Gottes an die ganze Kirche. Daher besteht auch eine gewisse Pflicht, das Wissen um ihr heroisches Glaubenszeugnis zu verbreiten.
Verehrung der Seligen und Heiligen
Heiligenverehrung ist keine verklärte Erinnerung und Bewunderung der Tugenden und Taten von Menschen vergangener Zeiten.
Wenn die katholische Kirche immer gelehrt hat und lehrt, dass es gut ist, die Heiligen zu verehren, richtet sie ihren Blick auf Gegenwart und Zukunft, nicht auf die Vergangenheit. Die Verehrung der Heiligen und Seligen kann und soll helfen, für das eigene Leben als Christ die richtigen Maßstäbe zu setzen, damit wir in unserer Zeit als authentische Zeugen Christi leben. Die Heiligen sollen für uns so etwas wie ein gutes Beispiel sein, dem wir nacheifern können.
Ein weiterer Grund, warum es in der katholischen Kirche das Gedächtnis der Heiligen, Heiligenfeste, Wallfahrten u. ä. gibt, und warum auch heute noch Menschen zur Ehre der Altäre erhoben werden, ist ihre Rolle als Fürsprecher bei Gott.
Das 2. Vatikanische Konzil hat das so ausgedrückt: „Nicht bloß um des Beispiels willen begehen wir das Gedächtnis der Heiligen, sondern mehr noch, damit die Einheit der ganzen Kirche durch die Übung der brüderlichen Liebe im Geiste gestärkt werde“ (vgl. Eph. 4, 1–6).
Denn wie die christliche Gemeinschaft unter den Erdenpilgern uns näher zu Christus bringt, so verbindet auch die Gemeinschaft mit den Heiligen uns mit Christus, von dem als Quelle und Haupt jegliche Gnade und das Leben des Gottesvolkes selbst ausgehen.
So ziemt es sich also durchaus, die Freunde und Miterben Christi, … zu lieben, Gott für sie den schuldigen Dank abzustatten und sie hilfesuchend anzurufen, um von Gott …Wohltaten zu erflehen.« (Vat. sec. LG 50)
Entscheidungen über Seligsprechungen
Jeder Gläubige kann natürlich persönlich und privat verehren, wen er will.
Dass die Kirche sich in die Verehrung der Heiligen einmischt, hängt mit ihrem Selbstverständnis zusammen. Im Credo bekennen wir unseren Glauben an die heilige katholische Kirche und an die Gemeinschaft der Heiligen. Dass die Kirche auch die Kirche der Sünder ist, ist keine Minimierung ihrer Heiligkeit. Sie ist als Kirche der Sünder die heilige Kirche.
Papst Franziskus betont das sehr häufig. Sie ist »die Gemeinschaft der geretteten Sünder«, so sagt er.
Viele Christen, auch Katholiken, verstehen das heute leider nicht mehr. Die Kirche ist heilig, weil der HEILIGE sich ihr vermählt, sich in sie eingestiftet hat. Er ist das Haupt der Kirche, sie ist sein Leib. Die Heiligen sind heilig, weil der HEILIGE in ihnen aufleuchtet und durch sie wirkt.
In besonderer Weise gilt das für das Martyrium. Wer freiwillig aus Liebe zu Gott und den Menschen den Tod auf sich nimmt, der bezeugt, dass in ihm Gott wirklich angekommen ist, dass er ganz aus seiner Gnade lebt. Sie zeigen damit, wie Kirche sein soll.
Heiligenverehrung heute und morgen
Die Heiligenverehrung ist ein gutes Mittel gegen die Geschichtsvergessenheit, von der Welt und Kirche heute geprägt sind.
Die Kirche will und kann mit der Verehrung ihrer Großen die eigene Armseligkeit nicht vergessen machen, aber sie darf sich zu Recht darüber freuen, dass es im Laufe ihrer Geschichte immer wieder Menschen gab, die bis zum letzten Blutstropfen für den Glauben der Kirche eingestanden sind.
Und da es nicht nur zu allen Zeiten, sondern auch aus allen Völkern Märtyrer und Heilige gibt, ist ihre Verehrung ein Dienst am Frieden und der Versöhnung der Völker. In besonderem Maße trifft das wohl auch für diese zehn neuen Seligen zu. Sie haben als deutsche Frauen auf dem Gebiet des heutigen Polen und Tschechien von der Hand der Soldaten der ehemaligen Sowjetunion den Märtyrertod erlitten.
Ihre gemeinsame Verehrung in unserer Kongregation, zu der heute Schwestern aus diesen Ländern gehören, kann ein starker Faktor der Einheit und Einigkeit in unserer Gemeinschaft werden. Und ich bin sicher, dass Sr. M. Paschalis und ihre Gefährtinnen in diesem Anliegen auch Fürsprache bei Gott einlegen.
Die Verehrung der Heiligen vergangener Zeiten soll und kann uns auch aufmerksamer machen für das Leid derer, die heute um ihres Glaubens willen verfolgt, ausgegrenzt, gefoltert und getötet werden. Viele Menschen aller Religionen sind davon betroffen. Die Zahl der verfolgten Christen nimmt dabei von Jahr zu Jahr zu. Heiligenverehrung ohne den Einsatz für Religionsfreiheit und Gerechtigkeit in der Welt wäre nur Nostalgie.
Der Nutzen, den jeder Christ für sich und sein Leben aus der Verehrung der Heiligen und Seligen ziehen kann, ist vor allem die Ermutigung zu einem Leben in lebendiger Beziehung mit dem Dreifaltigen Gott, damit er hier auf Erden, an seinem Platz, mit den ihm gegebenen Kräften und Fähigkeiten authentisch Zeugnis geben kann für Gott und sein Reich und so hoffen kann, einst teilzuhaben am Leben in der herrlichen Heiligkeit Gottes. Denn dazu ist jeder Getaufte, ja jeder, der Menschenantlitz trägt, berufen.
Sr. M. Paschalis Jahn und ihre Gefährtinnen haben ihren Glauben an diese Verheißung im Frühjahr 1945 mit ihrem Blut bezeugt. Wir müssen und können es auf unsere Weise tun. Damit auch unser Zeugnis für das Heil der Menschen und den Aufbau seines Reiches fruchtbar wird, dürfen wir diese zehn seligen Schwestern um ihren Beistand und ihre Fürsprache bei Gott bitten.
Sr. M. Dominika Kinder CSSE
Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth
Provinz-Deutschland e.V.
SELIG-Broschüre als PDF
März 2022
Herausgegeben von der Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth – Provinz-Deutschland e.V.
Text von Sr. M. Dominika Kinder CSSE
Titelbild und Frontispiz illustriert von Sr. Christiane Winkler OSB
Gestaltung und Satz von Stefanie Roth
Koordination durch die Unternehmenskommunikation des Elisabeth Vinzenz Verbundes
Fotos vom 11. Juni in Breslau: Dr. Sven U. Langner
Literaturnachweis
Berger, Klaus, Die Apokalypse des Johannes (Kommentar Teilband 1),
Herder Verlag Freiburg Basel Wien 2017
Lexikon für Theologie und Kirche (LThK) Martyrium
Vaticanum secundum: Konstitution über die Kirche (Lumen gentium)
Zeugen für Christus: Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts,
hrsg. Helmut Moll. Im Auftrag der deutschen Bischofskonferenz – Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, Bd. 1 (3. durchges. Aufl. 2001)